[edit] [comment] [remove] |2005-11-09| e1 # Einführung

Dieses Skript soll die Vorlesung "Technische Mechanik für Produktionstechniker" (PTM) begleiten. Als Vorlesungsbegleitmaterial ist es kein Ersatz für Lehrbücher, sondern erläutert in knapper Form Grundbegriffe, Gesetze und Formalismen der Technischen Mechanik. Bei den Herleitungen wichtiger Formeln sind mitunter Zwischenrechnungen weggelassen worden, die allerdings in den Vorlesungen nicht fehlen. Die Beispiele in diesem Manuskript beschränken sich auf eine notwendige Anzahl, die jedoch für ein tiefergehendes Verständnis nicht ausreicht. Daher rate ich dringend zum selbständigen (Nach-)Rechnen der in den vorlesungsbegleitenden Übungen behandelten Aufgaben. Wegen des vergleichsweise hohen Abstraktionsgrades der Technischen Mechanik ist es keine Schande, wenn etwas nicht sofort verstanden wird. In diesem Sinne gibt es auch keine dummen Fragen, die nicht einer Vertiefung des Verständnisses dienen.

 

[edit] [comment] [remove] |2005-11-09| e2 # Begriffsbestimmung

Die Aufgabe der Mechanik ist die Beschreibung der Bewegungen von Körpern sowie der damit im Zusammenhang stehenden Kräfte. Die Technische Mechanik wendet die Erkenntnisse der Analytischen Mechanik auf Gegenstände, Vorgänge und Probleme des Ingenieurwesens an.

Körper werden hinsichtlich ihrer Beschaffenheit in feste, flüssige oder gasförmige Körper unterschieden. Die festen Körper -mit welchen wir uns hier ausschließlich beschäftigen- unterteilen wir in starre, elastische und plastische Körper.

Die Mechanik wird folgendermaßen unterteilt:

Mechanik:

  • Kinematik
    reine Bewegung ohne Kräfte
  • Dynamik
    Bewegung mit Kräften
    1. Kinetik
      Kräfte als Ursache von Bewegung
    2. Kinetostatik
      Bewegung als Ursache von Kräften
    3. Statik
      Kräfte und "Ruhe" oder "gleichförmige Bewegung"
      1. Stereostatik
        starre Körper
      2. Elastostatik
        elastische Körper

Die Statik ist die Lehre von der Wirkung von Kräften auf starre Körper1Die Behandlung flüssiger oder gasförmiger Körper ist Gegenstand der Hydrostatik und Aerostatik. , die sich im Gleichgewicht befinden.

Dabei definieren wir Gleichgewicht folgendermaßen:

Ein Körper ist im Gleichgewicht, wenn er sich im Zustand der geradlinigen Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit oder -dem Sonderfall hiervon- im Zustand der Ruhe befindet.

 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-23| e3 # Einheiten

Zur Ausgabe des Ergebnisses einer technischen Berechnung reicht ein Zahlenwert nicht aus.

Beispiele:

  • Abstand d = 39 mm
  • Geschwindigkeit v = 3.75 ms
  • Kraft F = 50 N

Technisch korrekte Angaben bestehen aus einer Maßzahl und Einheit. Für die Mechanik starrer Körper werden die drei Basiseinheiten

  • Meter m
  • Kilogramm kg
  • Sekunde s

benötigt. Aus diesen Einheiten werden entweder Vielfache bzw. Bruchteile gebildet

  • Millimeter mm = 10−3 m
  • Gramm g = 10−3 kg
  • Stunde h = 3,6 · 103 s

oder weitere Einheiten abgeleitet

  • Beschleunigung ms2
  • Dichte kgm3

Die für die Mechanik bedeutende Größe Kraft wird nach dem Newton´schen Gesetz 2Sir Isaac Newton (1643-1727), engl. Naturforscher abgeleitet.

Als Einheit wird diejenige Kraft definiert, die einer Masse von 1 kg die Beschleunigung von 1 ms2 erteilt, d.h. 1N = 1 kgms2(Newton)

Als wichtiger Sonderfall ist die Gewichtskraft hervorzuheben

G = m · g

mit

G = Gewichtskraft [N]
m = Massse [kg]
g = Erdbeschleunigung [ms2]

Die Erdbeschleunigung ist nicht an jeder Stelle der Erdoberfläche gleich. Zur Ermittlung einer Gewichtskraft wird allgemein

g = 9,81 ms2

verwendet.3der genormte Mittelwert ist 9,80665ms2 Als ungenauere Näherung wird häufig der Faktor 10 benutzt, um die Gewichtskraft einer Masse anzugeben, z.B.

100 kg = 1 kN
 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-24| e4 # Lösungsverfahren

 Im Bereich der Technischen Mechanik hat sich im Verlaufe der Zeit ein Wandel hinsichtlich der bevorzugten Lösungsverfahren vollzogen. Die früher dominierenden graphischen Lösungsverfahren werden %u2013hauptsächlich wegen kontinuierlich steigender Leistungsfähigkeit der Rechnertechnik- zunehmend durch analytische Verfahren ersetzt.

Lösungsverfahren:

  • graphische Verfahren
  • graphoanalytische Verfahren
  • analytische Verfahren
    1. skalare Gleichungen
    2. vektorielle Gleichungen

Wir wollen bevorzugt analytische Verfahren zur Lösung technischer Aufgaben anwenden. Graphische Methoden werden insbesondere dann zusätzlich eingesetzt, wenn sie der besseren Verständlichkeit dienen.
Die entstehenden Gleichungen werden bevorzugt nach der vektoriellen Methode abgeleitet, da diese kompakter, weitgehend unabhängig von den trigonometrischen Funktionen und nach einiger Gewöhnung verständlicher sind.

 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-24| e5 # Ebene Vektorrechnung

Der Vektor ist ein mathematisches Hilfsmittel zur Darstellung physikalischer Größen, die neben ihrem Betrag zusätzlich eine Richtung besitzen. Die Darstellung eines Vektors erfolgt durch ein Pfeilsymbol, dessen Länge den Betrag und dessen Orientierung die Richtung des Vektors eindeutig kennzeichnet. Für eine numerische Darstellung des ebenen Vektors sind 2 Angaben (Koordinaten) erforderlich.

polare und kartesische Koordinaten

Polarkoordinaten Polarkoordinaten

F = (F,α)


In der polaren Darstellung eines Vektors wird dessen Länge und dessen Winkellage hinsichtlich einer Bezugsgeraden verwendet.

Kartesische Koordinaten Kartesische Koordinaten

F =  FxFy  = Fx·ex + Fy·ey

In der kartesischen Vektordarstellung werden die Komponenten in Richtung der aufeinander senkrecht stehenden x- und y-Achse verwendet. Zur besseren Unterscheidung dieser Darstellungsformen werden Zeilenvektoren für die polare und Spaltenvektoren für die kartesische Vektorschreibweise benutzt. Die kartesische Vektordarstellung ist sehr viel gebräuchlicher, weswegen ihr nachfolgend meist der Vorzug gegeben wird.

Vektorumrechnung

kartesisch polar
Fx = F·cosαF = √(F2x+F2y)
Fx = F·sinαα = arctan FyFx

gebundener, linienflüchtiger und freier Vektor

Vektoren liegen in der Ebene fest, sind entlang ihrer Richtungsgeraden verschiebbar oder können frei in der Ebene verschoben werden.

Vektoren

gebundener (Orts-)Vektor P linienflüchtiger Vektor F freier Vektor v



gebundener Vektor (Ortsvektor

  • Hiermit werden Punkte in der Ebene beschrieben. Der Vektorfußpunkt liegt grundsätzlich im Koordinatenursprung. Darüberhinaus werden damit an bestimmte Körperpunkte gekoppelte Vektoren, wie Geschwindigkeit und Beschleunigung bezeichnet.

linienflüchtiger Vektor

  • Einzelkräfte beispielsweise stellen an Wirkungslinien gebundene Vektoren dar. Solche Vektoren lassen sich entlang ihrer Richtungsgeraden verschieben

freier Vektor

  • Freie Vektoren können beliebig parallel verschoben werden. Die Differenz zweier Ortsvektoren ergibt beispielsweise einen freien Richtungsvektor. Der räumliche Momentenvektor ist ebenfalls ein freier Vektor.
 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-24| e6 # Vektoroperationen

Einheitsvektor

Jeder Vektor u läßt sich durch einen skalaren Faktor u und einen normierten vektoriellen Anteil eu ausdrücken

(1.2)u = u·eu

Multiplikation von Vektor und Skalar

u

u ist ein Vektor, der zu u parallel und gleich- oder entgegengesetzt gerichtet ist, je nachdem ob c positiv oder negativ ist.

(1.3)v = c·u = u·c;  vxVy  = c· uxuy  =  cuxcuy 

Insbesondere der Faktor %u20131 führt auf einen entgegengesetzt gerichteten gleich großen Vektor, den negativen Vektor.

(1.4)u·(−1) = (−1)·u = −u

Addition und Subtraktion von Vektoren

Vektoren werden addiert, indem ihre Komponenten addiert werden. Die Reihenfolge der Summanden ist vertauschbar.

(1.5)v = u1 + u2 = u2 + u1 (Kommutativgesetz)

Kommutativgesetz

(1.6) vxvy  =  u1x + u2xu1y + u2y 

Entsprechend werden Vektoren subtrahiert, indem ein negativer Vektor addiert wird.

u1 = v + (−u2) = vu2
(1.7) u1xu1y  =  vx − u2xvy − u2y 

Betrag eines Vektors

Der Betrag eines Vektors entspricht dessen Länge. Wir erhalten ihn aus

(1.8)u = √u2 = √(u2x + u2y)

Der Einheitsvektor eu zu einem gegebenem Vektor errechnet sich aus

(1.9)eu = uu = u√(u2x + u2y)

Skalarprodukt

Unter dem skalaren oder inneren Produkt zweier Vektoren u und v verstehen wir die Summe der Produkte ihrer Komponenten

(1.10)s = u·v =  uxuy · vxvy  = ux·vx + uy·vy

Darüberhinaus gilt das Kommutativgesetz

(1.11)u·v = v·u

und das Distributivgesetz

(1.12)u·(v·w) = u·v + u·w

Insbesondere gilt für die Multiplikation eines Vektors mit sich selbst

(1.13)u·u = u2 = u2x + u2y

Das skalare Produkt zweier senkrecht aufeinander stehender Vektoren ist 0.

u·v = 0 mit uv

Weiterhin ergibt die Multiplikation eines Vektors mit einem Einheitsvektor einen Zahlenwert

(1.14)s = u·e

, der der Länge der Projektion von u auf e entspricht.

Seite12_1.png
Der projizierte Vektor entsteht damit aus

(1.15)ue = (u·ee

Es gilt nicht das Assoziativgesetz, d.h.

(1.16)u·(v·w) ≠ (u·v·)w

Orthogonaloperator

Bei einer Beschränkung auf ebene Vektoren findet das Vektorprodukt oder Kreuzprodukt nur eingeschränkte Verwendung

(1.17)u x v = w

,da es einen Vektor erzeugt, der senkrecht auf der betrachteten Ebene steht. Stattdessen wird der sogenannte Orthogonaloperator ^ eingeführt,

(1.18)u^ =  −uyux 

Orthogonaloperator
der einen zu u um 90° mathematisch positiv gedrehten (orthogonalen) u^ Vektor erzeugt.
In Verbindung mit dem Orthogonaloperator gelten folgende weitere Rechenregeln:

u^^ = −u2 fache Drehung
(u + v)^ = u^+v^gedrehter Summenvektor
u^·v^ = u·vProdukt gedrehter Vektoren
u^·v = −u·v^Vertauschungsregel
u·u^ = 0Punkt senkrechter Vektoren
(u´)^ = (u^Differentiation

Insbesondere gilt für die Einheitsvektoren des kartesischen Koordinatensystems

ex = −e^y
ey = −e^x

Winkel zwischen 2 Vektoren

Wie bereits erwähnt, lassen sich Vektoren über ihre Längen und Winkel zur x-Achse beschreiben.

u = u cosαsinα ; v = v cosβsinβ 

Das Skalarprodukt führt dabei auf

(1.19)u·v = uv(cosα cosβ + sinα sinβ)

und unter Berücksichtigung der Additionstheoreme der Trigonometrie

(1.20)u·v = u·v cos(β − α) = u·v cosγ

mit dem zwischen den Vektoren eingeschlossenen Winkel %uF067. Andererseits liefert

(1.21)uv^ = uv(−cosα sinβ + sinα cosβ)

und das entsprechende Additionstheorem

(1.22)u^v = uv sin(β − α) = u·v sinγ

Damit ergeben sich folgende Winkelfunktionen:

für den von u nach v gerichteten Winkel %uF067 gilt:

sinγ = u^·vuv
(1.23)cosγ = u·vuv
tanγ = u^·vu·v
Vektorgleichungen

Beim Umgang mit Vektorgleichungen bieten sich weitgehend dieselben Möglichkeiten wie bei algebraischen Gleichungen. Als Beispiel betrachten wir den geschlossenenen Vektorzug dreier Vektoren.

(1.24)u + v + w = 0

Entsprechend der Anzahl der Komponenten läßt sich die Vektorgleichung in zwei skalare Gleichungen aufspalten (Gleichungssystem).

(1.25)xu + xv + xw = 0
yu + yv + yw = 0

Eine Vektorgleichung läßt sich nach einer Unbekannten auflösen.

(1.26)u = −vw

Sie kann quadriert werden

(1.27)u2 = v2 + 2vw + w2 (vektorieller Cosinussatz)

oder mit einem Skalar oder Vektor multipliziert werden,

(1.28)u2 = −(v + w)u

wobei die Multiplikation mit einem Vektor die Vektorgleichung in eine algebraische Gleichung überführt. Durch Multiplikation mit dem Einheitsvektor läßt sich die skalare Größe isolieren.

(1.29)u = −(v + w)eu

Schließlich kann ein Summand u durch den Faktor aus der Gleichung entfernt werden.

(1.30)(v + w)u^ = 0

Die Vektorgleichung kann durch eine skalare Größe dividiert werden.

(1.31)eu = v + wu

Die Division durch einen Vektor ist dagegen grundsätzlich nicht erlaubt.