[edit] [comment] [remove] |2006-11-24| e1 # Kinematik des starren Körpers

Bislang wurde lediglich die Bewegung von Massenpunkten betrachtet. Hierbei konnte die Drehung des Körpers unberücksichtigt bleiben. Diese Beschränkung soll nun aufgehoben werden.

Ein Körper im Raum besitzt 6 Freiheitsgrade. Zu den drei Verschiebungen entlang der x–, y– und z–Achse gesellen sich die Drehungen um diese Achsen. Die ebene Bewegung eines Körpers ist auf drei voneinander unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten beschränkt. Zwei Verschiebungen entlang der x– und y–Achse werden ergänzt durch eine Drehbeweglichkeit um die z–Achse.

Die Gestalt eines Körpers während der Bewegung sei als unveränderlich angenommen. Insbesondere elastische Verformungen werden nicht berücksichtigt. Wir beschränken uns somit auf die Bewegungsbetrachtung von Starrkörpern.

 

[edit] [comment] [remove] |2006-11-28| e2 # Ebene Bewegung des starren Körpers

Die Lage eines Körpers werde bezüglich eines ruhenden, kartesischen Koordinatensystems beschrieben. Hierzu markieren wir zwei körperfeste Punkte A und B, deren Ortsvektoren rA und rB genannt werden.

Starrkörper - Position

Der Vektor vom Körperpunkt A nach Punkt B ergibt sich aus der Differenz

rAB = rBrA

Er hat wegen der vereinbarten Starrkörpereigenschaft eine unveränderliche Länge rAB und schließe mit der positiven x–Achse den Winkel φ ein.

Nunmehr können wir für einen beliebigen Körperpunkt B die

Position

vektoriell:

(8.1)rb = rA + rAB = rA + rAB·eAB

kartesisch:

xB = xA + rAB·cos φ
yB = yA + rAB·sin φ

bei gegebenem Punkt A und der relativen Lage von B (Abstand, Winkel) in polaren Koordinaten beschreiben.

 

[edit] [comment] [remove] |2006-11-28| e3 # Geschwindigkeit der ebenen Starrkörperbewegung

Starrkörper - Geschwindigkeit
Die Geschwindigkeit des Punktes B ergibt sich durch einfaches Differenzieren von Gleichung 8.1 nach der Zeit t.

rB = rA + rAB·eAB + rAB·eAB

Die Ableitung des Einheitsvektors eAB führt auf einen um 90° in positiver Richtung gedrehten Vektor (gekennzeichnet durch hochgestelltes '^')

ddt eAB = φ·e^AB

Wegen der Starrkörpereigenschaft gibt es keine zeitliche Änderung des Abstandes zwischen den Punkten A und B. Der Ausdruck rAB ist somit Null.

Für einen beliebigen Körperpunkt B erhalten wir mit der Bezeichnung ω für die Winkelgeschwindigkeit φ die

Geschwindigkeit

vektoriell:

(8.2)vB = vA + ω·r^AB = vA + rAB ·ω ·e^AB

mit

vB = Geschwindigkeit des Punktes B
vA = Geschwindigkeit des Punktes A
ω·r^AB = Tangentialgeschwindigkeit des Punktes B infolge der Drehung um A

kartesisch:

vBx = vAx − rAB · ω · sin φ
vBy = vAy + rAB · ω · cos φ

Gemäß Gleichung 8.2 kann die Bewegung eines Körpers als Überlagerung einer reinen Translation des Punktes A mit einer Rotation um eben diesen Punkt aufgefasst werden und ist damit identisch mit dem Ersten Satz von Euler für die Geschwindigkeiten.

 

[edit] [comment] [remove] |2006-11-28| e4 # Beschleunigung der ebenen Starrkörperbewegung

Starrkörper - Beschleunigung
Die Beschleunigung des Punktes B ergibt sich durch weiteres Differenzieren von Gleichung 8.2.

r••B = r••A + rAB · φ•• · e^AB − rAB · φ• 2 · eAB

Hierbei ist die Ableitung des gedrehten Einheitsvektors

ddt e^AB = −φ · eAB

verwendet worden. Mit der Bezeichnung α für die Winkelbeschleunigung erhalten wir die

Beschleunigung

vektoriell:

(8.3)aB = aA + rAB · α · e^AB − rAB · ω2 · eAB

mit

aB = Beschleunigung des Punktes B
aA = Beschleunigung des Punktes A
α·r^AB = Tangentialbeschleunigung des Punktes B infolge der Drehung um A
− rAB · ω2 · eAB = Normalbeschleunigung des Punktes B infolge der Drehung um A

kartesisch:

aBx = aAx − rAB · α · sin φ − rAB · ω2 · cos φ
aBy = aAy + rAB · α · cos φ − rAB · ω2 · sin φ

Gleichung 8.3 gestattet ebenfalls die Interpretation der allgemeinen ebenen Bewegung eines Körpers als überlagerte Translation des Punktes A und einer Rotation des Punktes B um A. Diese Aussage entspricht dem Ersten Satz von Euler für die Beschleunigungen.

 

[edit] [comment] [remove] |2006-11-28| e5 # Räumliche Starrkörperbewegung

Auch die räumliche Starrkörperbewegung setzt sich aus einer Translation und Rotation zusammen. Mit der Tatsache, dass sowohl die Winkelgeschwindigkeit ω, als auch die Winkelbeschleunigung α ein Vektor ist, schreiben wir die

Bewegungsgleichungen der räumlichen Starrkörperbewegung

(8.4)rB = rA + rAB
(8.5)vB = vA + ω × rAB
(8.6)aB = aA + α × rAB + ω × (ω × rAB)
 

[edit] [comment] [remove] |2006-11-28| e6 # Beispiel: Kreuzschleife

Wir wollen die erarbeiteten Gleichungen auf das anschauliche Beispiel einer Stange der Länge l anwenden, deren unteres Ende A horizontal mit konstanter Geschwindigkeit va nach rechts bewegt wird, während das obere Ende B an einer vertikalen Wand nach unten gleitet. Das getriebetechnische Äquivalent wird als Kreuzschleife bezeichnet.

Die Position des Punktes B lautet gemäß Gleichung 8.1 unter Berücksichtigung der vorliegenden geometrischen Besonderheiten

xB = va·t − l ·sin φ = 0
yB = l ·cos φ

Die Geschwindigkeit des Punktes B gehorcht Gleichung 8.2, bzw. resultiert aus der zeitlichen Ableitung der Position des Punktes B

(a)xB = vA − l · ω·cos φ = 0
(b)vB = −l · ω·sin φ

Aus Gleichung (a) lässt sich

ω = vAl · cos φ

bestimmen und mit Einsetzen in Gleichung (b) resultiert die Geschwindigkeit

vB = −vA · tan φ

Die Beschleunigung erhalten wir schliesslich durch nochmaliges Differenzieren von (a) und (b) oder gemäß Gleichung 8.3 zu

(c)x••B = − l · α·cos φ + l · ω2· sin φ = 0
(d)aB = −l · α·sin φ − l · ω2·cos φ

Die Beziehung (c) liefert unmittelbar die Winkelbeschleunigung

α = ω2 · tan φ

und das Einsetzen in (d) führt zur Beschleunigung

aB = − l · ω2 (sin φ · tan phi − cos φ)

die sich unter Verwendung des obigen Ausdrucks für ω als

aB = v2a · cos 2φl · cos3 φ

schreiben lässt.

 

[edit] [comment] [remove] |2006-11-28| e7 # Momentanpol der ebenen Starrkörperbewegung

Nachdem der Nachweis gelungen ist, dass sich die allgemeine Starrkörperbewegung als überlagerte Translation und Rotation darstellen lässt, wollen wir nun überprüfen, ob sich der Geschwindigkeitszustand einer ebenen Bewegung als reine Drehbewegung um einen ausgezeichneten Punkt – den Momentanpol – auffassen läßt.

Als einzigen Anhaltspunkt auf der Suche nach diesem Momentanpol haben wir seine Eigenschaft, momentan geschwindigkeitslos zu sein.

Es seien die Geschwindigkeiten zweier Körperpunkte vA und vB gegeben.

(a)vM = vA + ω · r^AM = 0
(b)vM = vB + ω · r^BM = 0

Die Lage des Momentanpols M relativ zu den Punkten A und B führt zum geschlossenen Vektorzug des Dreiecks <ABM>

(c)rAB + rBMrAM = 0

bzw – wenn wir dieses um 90° drehen – auf

r^AB + r^BMr^AM = 0

Die Verwendung der Gleichungen (a) und (b) ergibt

r^AB1ω(vBvA) = 0

Wir multiplizieren diese Gleichung skalar mit r^AB und erhalten für die Winkelgeschwindigkeit den Ausdruck

(8.7)ω = (vBvA) · r^ABr2AB

Gleichung 7.8 lautete in Komponentenschreibweise

(8.7a)ω = xAB (vAy − vAy) − yAB (vBx − vAx)x2AB + y2AB

und vereinfacht sich für den praktisch bedeutsamen Sonderfall, in dem die Geschwindigkeiten vA und vB gleichgerichtet sind und senkrecht auf dem Richtungsvektor rAB stehen, zu

(8.8)ω = vB − vArAB

Die Lage des Momentanpols lässt sich nunmehr Gleichung (c) entnehmen

rAM = rAB + rBM

und führt unter Verwendung von (a) auf

(8.9)rAM = rAB1ωv^B

bzw. in Komponentenschreibweise

(8.9a)xAM = xAB + vByω
yAM = yABvBxω

Für den oben erwähnten Sonderfall der gleichgerichteten Geschwindigkeitsvektoren ergibt sich aus der x–Komponenten Gleichung von (8.9a) und (8.8) die Gleichung der Lage des Momentanpols als

(8.10)xAM = xAB vavA − vB

wie sie sich alternativ auch aus der Anwendung des Strahlensatzes ergeben hätte.