[edit] [comment] [remove] |2006-03-31| e1 # Spannung

Um tiefer in die Spannungsberechnung einzusteigen, ziehen wir zunächst das einfachste aller Tragwerkselemente heran, den Stab.

Wir belasten einen geraden Stab mit konstanter Querschnittsfläche A durch eine Zug-/Normalkraft N.

Seite16_1.PNG

Die äußere Kraft verursacht innere Kräfte. Um diese sichtbar zu machen, führen wir einen Schnitt senkrecht zur Stabachse durch. Aufgrund der reinen Normalbelastung des Stabes erhalten wir eine Normalspannung, von der wir annehmen, daß sie über den Querschnitt gleich verteilt ist.4 Diese Annahme entspricht auch der Realität, wenn keine plötzliche Querschnittsänderung zu verzeichnen ist und der Schnitt in genügender Entfernung von den Krafteinleitungspunkten geführt wird.

Seite16_2.PNG

Anhand dieser Überlegungen gelangen wir zur Normalkraft und damit zum

Zusammenhang zwischen Normalkraft und Normalspannung im Stab

σ = NA

mit

σ = Normalspannung
N = Normalkraft
A = Querschnittsfläche

Bei veränderlichem Querschnitt des Stabes

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halten wir die Annahme der gleichförmig verteilten Spannung über den Querschnitt aufrecht. Die Kraft ändert sich nicht entlang der Stabachse, jedoch der Querschnitt und damit die Spannung gemäß

σ(z) = NA(z)

Hinsichtlich des Vorzeichens behandeln wir die Spannung analog zur Stabkraft als:

  • positiv für Zugspannung
  • negativ für Druckspannung

Die Spannungsermittlung wird für die Lösung von Dimensionierungsproblemen benötigt. Bei einer vorgegebenen (werkstoffabhängigen) maximal zulässigen Spannung des Stabes lassen sich somit folgende Dimensionierungsaufgaben formulieren:

  • Bestimmung der maximalen Kraft bei gegebener Stabgeometrie
  • Bestimmung des minimalen Stabquerschnitts bei gegebener Stabkraft

Beispiel Ein konischer Stab mit kreisförmigem Querschnitt wird durch die Druckkraft N belastet. Welcher Spannungsverlauf ist entlang der Stabachse zu verzeichnen?

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Radienverlauf:

⇒ r(z) = az + b (Geradengleichung)

Randbedingungen:

r(0) = r0 ⇒ b = r0
r(l) = 2r0 ⇒ a = r0l

also

r(z) = r0l(z + l)

Querschnittsfläche:

A(z) = π·r2(z) = πr20l2(z + l)2

Normalspannung (Druck)

σ(z) = NA(z)
σ(z) = Nl2π·r20(z + l)2

Beispiel Ein Stab der Länge l und Dichte ρ ist hängend eingespannt und nur durch sein Eigengewicht belastet. Wie muß sich dessen Radius - bei kreisförmigen Querschnitt - verändern, damit in jeder Schnittfläche A(z) die gleiche Spannung σ0 zu verzeichnen ist?

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In einem beliebigen Querschnitt A(z) wirkt die Normalkraft

N(z) = σ0·A(z)
dN = σ0·dA

mit der Querschnittsfläche

A(z) = π·r2(z)
dA = 2π·r(z)·dr

Wir stellen die Gleichgewichtsbedingung für das herausgeschnittene Stabstück auf

N(z) − N(z) − dN − dG = 0
dN + dG = 0

Das Gewicht ergibt sich gemäß

G(z) = ρ·g·V(z)
dG = ρ·g·dV

Das Volumen des Stabstücks gehorcht der Beziehung

dV = (A(z) + 12·dA)·dz
dV = π·(r2(z) + r(z)·dr)·dz

bzw. unter Vernachlässigung gemischter differentieller Produkte

dV = π·r2(z)·dz

Einsetzen in die Gleichgewichtsbedingung liefert

σ0·2π·r8z9·dr + ρ·g·r2(z)·dz

Die Trennung der Variablen ergibt

1r(z)·dr = −ρ·g0·dz

Eine Integration liefert

ln·r = −ρ·g0·z + c

mit der Randbedingung z=0 erhalten wir

c = ln·r0

und damit das Ergebnis

lnrr0 = −ρ·g0·z

oder in exponentieller Schreibweise

r(z) = r0·eρ·g0·z
 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-31| e2 # Dehnung

Ein auf Zug oder Druck beanspruchter Stab erfährt neben inneren Spannungen zusätzlich eine Formänderung.

Der Rundstab

Wir führen zunächst eine vereinfachte Untersuchung am Rundstab der Ursprungslänge l0 mit konstantem Durchmesser d0 durch. Durch eine Zugbelastung F wird der Stab um die Länge Δl gedehnt.

Seite19_5.PNG

Die Verlängerung Δl des Stabes bezogen auf die Länge l des unbelasteten Stabes bezeichnen wir als

Dehnung

ε = Δll0

mit

Δl = Längenänderung
l0 = unbelastete Stablänge

Zusätzlich zur Längenänderung Δl wird der Durchmesser des Stabes verringert. Diese Durchmesseränderung nennen wir

Querkontraktion

εq = Δdd0

mit

Δd = Durchmesseränderung
d0 = unbelasteter Durchmesser

Zwischen der Dehnung und der Querkontraktion besteht ein bemerkenswerter Zusammenhang: Das Verhältnis von Querkonstruktion und Dehnung ist konstant5 für metallische Werkstoffe gilt 0,3 und heißt

Querkontraktionszahl oder Poissonsche 6Siméon Dénis Poisson (1781-1840), französischer Physiker Zahl

ν = −εqε

Obwohl wir diese Zusammenhänge für einen Rundstab hergeleitet haben, gelten sie genauso für einen Stab von beliebigem Querschnitt

Eine Betrachtung der Volumenänderung

ΔV = V − V0 = A·l − A0·l0

ergibt anhand des Rundstabs mit

AA0 = d2d20
und l = l0 + Δl, d = d0 + Δd

Die relative Volumenänderung erhalten wir, indem ΔV auf das ursprüngliche Volumen V0 bezogen wird, also

ΔVV = d2d20·ll0 − 1
ΔVV = (1 + εq)2·(1 + ε) − 1
ΔVV = ε + 2εq + ε2q + 2εq·ε + ε2q·ε

Wegen ε<<1 und εq<<1 vernachlässigen wir alle daraus gebildeten Glieder höherer Ordnung und schreiben

ΔVV = ε + 2εq

Damit erhalten wir unter Verwendung der Querkontraktionszahl ν die

relative Volumenänderung

ΔVV = ε(1 − 2ν)

Anhand der Beziehung für die Volumenänderung lassen sich die theoretischen Grenzen für ν angeben. ν=0 gilt für Materialien die keine Querkontraktion erfahren (Beton) und ν=0,5 ist der Wert für inkompressibles Material ohne Volumenänderung (Gummi)7 Diese Eigenschaft ist beim Einbau von O-Ringen zu beachten, die Nut muß Platz für den deformierten Ring bieten. .

Der Stab mit veränderlichem Querschnitt

Die Beziehungen für die Dehnung und Querkontraktion lassen sich nur auf Stäbe mit konstantem Querschnitt anwenden.

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ε(z) dldz
dl = ε(z)dz
Δl = l0·ε(z) dz
 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-31| e3 # Das Stoffgesetz

Sowohl die Spannungen innerhalb eines Stabes als auch dessen Verformungen (Dehnung) sind die Folge einer äußeren Belastung. Demnach muß auch ein Zusammenhang zwischen Spannung und Dehnung formuliert werden können. Die physikalische Beziehung zwischen diesen beiden Größen heißt Stoffgesetz. Wie es die Beziehung andeutet, ist das Stoffgesetz abhängig von dem Werkstoff des Körpers und kann darüberhinaus nur empirisch mittels eines Versuchs gefunden werden.

Als wichtigstes Experiment gilt dafür der sogenannte Zugversuch, dessen Ablauf und Randbedingungen streng festgelegt sind (DIN 50145).

Der Zugversuch

Zur Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Zugspannung und Dehnung wird ein in seinen Abmessungen vorgeschriebener Probestab in eine Prüfmaschine eingespannt und - zügig, jedoch nicht ruckartig - gedehnt.

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Die von der Maschine auf den Stab ausgeübte Kraft F erzeugt im Stab die Normalspannung σ = FA. Gleichzeitig ändert sich die Länge l und ergibt eine zugehörige Dehnung ε = Δll0. Die Kraft wird solange gesteigert, bis die Probe reißt. Der Verlauf von σ über ε wird im sogenannten Spannungs-Dehnungs-Diagramm aufgezeichnet.

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Die resultierenden Kurven haben für verschiedene Materialien unterschiedliches Aussehen.

Im vorstehenden Bild ist das Spannungs-Dehnungs-Diagramm eines zähen Baustahls zu sehen, das wir nun abschnittsweise diskutieren wollen:

  • Vom unbelasteten Zustand aus verläuft die Kurve bis zur Proportionalitätsgrenze σP linear. Dieser Bereich ist der einfachste und gleichzeitig für Festigkeitsberechnungen der maßgebliche.
  • Die Elastizitätsgrenze σE - nicht weit von σP - kennzeichnet die Spannung, bis zu der bei nachfolgender Entlastung keine meßbar bleibende Verformung des Stabes auftritt, der Werkstoff zeigt somit elastisches Verhalten.
  • Bei weiter zunehmender Belastung wird der Stab bleibend gedehnt und erreicht die sogenannte Streckgrenze8 Auch Fließgrenze; früher σS oder σF. Re. Ab dieser Spannung beginnt ein Verschiebungsprozeß im Kristallgefüge des Werkstoffs, der als Fließen bezeichnet wird. Die Spannung bleibt nun kurzzeitig trotz zunehmender Dehnung nahezu konstant.9 Einige Materialwerkstoffe besitzen keine ausgeprägte Streckgrenze, für die dann ersatzweise die RP0,2-Grenze gewählt wird. Dies ist diejenige Spannung, bei der nach anschließender Entlastung eine bleibende Verlängerung von 0,2% zu verzeichnen ist.
  • Nach dem Fließen setzt die sogenannte Kaltverfestigung ein. Dieser Vorgang ermöglicht eine weitere Zunahme der Spannung, also einen weiteren Anstieg der Kurve.
  • Am Ende des Verfestigungsbereichs erfolgt gleichzeitig mit einer Einschnürung des Querschnitts der Probe der Bruch des Stabes an dieser Stelle. Die zugehörige Spannung bezeichnen wir als Bruchspannung10Früher σb. Für häufig verwendete Baustähle ist diese Grenze Teil der Bezeichnung, z.B. ST52, ST37 mit Rm = 520 Nmm2 bzw. 370 Nmm2 . Rm.
 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-31| e4 # Elastizitätsgesetz

Wir wollen uns nachfolgend auf ein linear-elastisches Werkstoffverhalten beschränken, also lediglich den proportionalen Teil des Spannungs-Dehnungs-Diagramms berücksichtigen. Demzufolge gilt σ∼ε und mit dem Proportionalitätsfaktor E gelangen wir zu dem

Elastizitätsgesetz (Hookesches Gesetz)

σ = E·ε

mit

σ = Spannung [Nm2]
E = Elastizitätsmodul [Nm2]
ε = Dehnung [−]

Dieses Elastizitätsgesetz ist von fundamentaler Bedeutung für die Elastostatik bzw. die Festigkeitslehre.

Der Elastizitätsmodul E ist eine Werkstoffkonstante, deren Wert mit Hilfe des Zugversuchs bestimmt werden kann. Dessen Einheit ist dieselbe wie die der Spannung Nm2.

Durch den - zum Zugversuch analogen - Druckversuch erhalten wir als Ergebnis, daß der Elastizitätsmodul für Zug und Druck gleich ist.

Elastizitätsmodul

Material E inNmm
Stahl 2,1·105
Aluminium 0,7·105
Beton 0,3·105
Holz (in Faserrichtung) 0,7...1,6·105
Gußeisen 1,0·105
Kupfer 1,2·105
Messing 1,0·105
 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-31| e5 # Differentialgleichung für die Stabdehnung

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Wir setzen nun das Elastizitätsgesetz in die Beziehung für die differentielle Verschiebung dldz ein und erhalten

ε(z) = dldz = σ(x)E

bzw. unter Verwendung von der verteilten Last in Längsrichtung n(z)

dNdz = −n(z)

und der Spannung

σ(z) = N(z)A(z)

schließlich die

Differentialgleichung für die Stabverschiebung

(EAz´)´+n = 0 für verteilte Last f
EAz´ − F = 0 für Einzellast N
EAz − lo = 0 für konstante Dehnsteifigkeit

mit

EA = Dehnsteifigkeit [N]
z = Verschiebung
 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-31| e6 # Temperaturdehnung

Die Temperaturerhöhung eines Stabes um die Temperaturdifferenz ΔT bewirkt eine

elastische Temperaturdehnung

εt = αt·ΔT

mit

ΔT = Temperaturdifferenz [K]
αt = Temperaturdehnungskoeffizient [1K]

In statisch bestimmten Tragwerken erfolgen Temperaturdehnungen stets spannungsfrei. In statisch überbestimmten Tragwerken treten dagegen durch gegenseitige Behinderung der Körperausdehnung innere Temperaturspannungen auf.

Beispiel

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Ein Stab ist bei der Fertigung zu kurz geraten. Zum Einbau soll er daher erwärmt werden. Um wieviel Grad ist er zu erwärmen und welche Spannung herrscht nach dem Abkühlen im eingebauten Zustand?

Elastizitätsgesetz: (Einbau)

ε = δE·A + αt·ΔT

mit

δ = ε(a − δ)

und

σ = 0

(spannungsfreier Einbau)

ΔT = δ(a − δ)·αt

(notwendige Erwärmung)

Elastizitätsgesetz: (nach Abkühlung)

ε = δa − δ
σ = E·ε
σ = E·δa − δ

(Spannung im eingebauten Zustand)

 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-31| e7 # Tragwerksdehnung

Nachfolgend wollen wir ein Tragwerk betrachten, dessen Stäbe bzw. Seile unter Belastung eine Längsdehnung erfahren.

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Für eine nähere Untersuchung nehmen wir einen belasteten Stab zwischen den Knoten A und B der Länge l zu Hilfe. Aus den Verformungen des restlichen Tragwerks in das unser Stab eingebettet ist, sei die Verschiebung uA des Knotenpunkts A vorgegeben. Im zunächst unbelasteten Zustand und bei gleichbleibender Orientierung des Stabes muß sich Knoten B ebenfalls um uA verschieben. Durch seine eigene axiale Belastung dehnt sich der Stab, wodurch sich der Punkt B entlang des Achseinheitsvektors e um den Betrag ε·l verlagert. Der Richtungsvektor des Stabes ergibt sich damit gemäß

rA´B = (1 + ε)rAB = rAB(1 + ε)·e

Nun kann der Stab in Einklang mit der Tragwerksgeometrie eine kleine Winkeländerung φ erfahren. Dadurch ergibt sich durch Anwendung der ebenen Rotationsmatrix der Vektor

rA´B´ =  cosφ −sinφsinφ cosφ rA´B

Für kleinere Winkel φ wird

cosφ ≈ 1
sinφ ≈ φ

und damit

rA´B´ =  xA´B − φ·yA´Bφ·xA´B + yA´B 

bzw.

rA´B´ = rA´B + φ·r^A´B

Unter Verwendung der Beziehung für rA´B erhalten wir

rA´B´ = (1 + ε)(rAB + φ·r^AB)

bzw. wegen ε<<1 und φ<<1 unter Verwendung des Produktes ε·φ ≈ 0

rA´B´ = (1 + ε)rAB + φ·r^AB

Die Verlagerung uB des Knotens B gehorcht der Beziehung

uB = r´BrB
mit rB = rA + rAB
und r = rA + uA + rA´B´

Damit erhalten wir die

Verlagerung des Stabknotens B

uB = uA + ε·rAB + φ·r^AB

mit

uA = Verlagerung des Knotens A
ε = Stabdehnung
φ = kleiner Drehwinkel
rAB = ursprünglicher Stabvektor

Beispiel

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Ein starrer Balken ist an zwei Stäben der Dehnsteifigkeit E·A angeschlossen und wird durch die Kraft F belastet.Wie groß ist die Verschiebung des Punkts C und die Neigung des Balkens?
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a) Kräfteermittlung

Knoten A:

∑ F(A) Ax0  + S1 0−1  + S2 √3·12−12  = 0

Balken:

∑F ≡  BxBy  + S1 01  + F 0−1  + S2 −√3·1212  = 0
∑M(B) ≡ −F·a + S2·a = 0
S1 = −F2; S2 = F; Ax = −12√3F; Bx = 12√3F; By = F

b) Stabdehnungen

Wegen konstanter Dehnsteifigkeit E·A gilt

ε1 = S1E·A = −F2·E·A
ε2 = S2E·A = −FE·A

c) Punktverschiebungen

Punkt A:

uA = uB + ε1·rBA + φ1·r^BA
uA =  00 F2·E·A 0√3a·23  + 0 −√3a·230 
uA =  0−√3·F·a3·E·A 

Punkt C:

uC = uA + ε2rAC + φ2r^AC
uC = uB + εBalken·rBC + φBalken·r^C

Gleichsetzen der Verschiebungen mit uB = 0 und εBalken = 0 führt auf

uA + ε2·rAC + φ2·r^AC = φBalken·r^BC

Wir eliminieren den Summanden mit φ2 durch Multiplikation der Gleichung mit rAC und lösen nach der gesuchten Balkenneigung auf

φBalken = uA·rAC + ε2·r2ACr^BC·rAC
 0−√3·F·a3·E·A  2a−√3a·23 +FEA·163·a2 02a  2a−√3a·23 
2Fa23EA+16Fa23EA−43√3a2
φBalken = −3·√3·F2·E·A

Eingesetzt in die Gleichung der Verschiebung des Balkenpunkts C liefert

uC = φBalken·r^BC
= 3·√3·F2·E·A· 02a 
uc = 3·√3·FaE·A· 0−1