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(c) 2005 Stefan Gössner

[edit] [comment] [remove] |2005-11-24| e1 # Haftung und Reibung

Bis hierher sind wir von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Kontaktflächen zweier Körper (i. d. Gelenken) glatt sind und nur Kräfte normal zur Berührungsebene übertragen können.

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Entgegen dieser Idealisierung besitzen reale Oberflächen eine gewisse Rauhigkeit. Die bisher angenommene freie Beweglichkeit in tangentialer Richtung der Berührungsebene gilt nun nicht mehr. Aufgrund einer "Verzahnung" der Oberflächen setzen diese der Tangentialverschiebung einen Widerstand entgegen.

Der Widerstand zweier sich berührender Oberflächen gegenüber einer Tangentialverschiebung wird als Reibkraft bezeichnet.

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Um eine Kiste vom Gewicht m g, die auf einer ebenen rauhen Oberfläche steht, in Bewegung zu versetzen, müssen wir erfahrungsgemäß die Kraft F bis zu einem gewissen Grenzwert erhöhen, bis sich die Kiste endlich in Bewegung setzt.
Dies ist ein Hinweis darauf, daß wir es mit zwei verschiedenen physikalischen Effekten zu tun haben.

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Um diesen wesentlichen Unterschied zu verdeutlichen, wollen wir Reibung in Ruhe (Haftreibung) kurz mit Haftung und Reibung in Bewegung (Gleitreibung) kurz mit Reibung bezeichnen.

Alltag und Technik kennen zwei gegensätzliche Bestrebungen:

  • Haftung/Reibung maximieren
  • Sand streuen bei Glatteis
  • Reifen/Fahrbahn-Haftung maximieren
  • Förderband/Stückgut Mitnahmekraft vergrößern
  • Bremsbelag/Stahl-Reibung so groß wie möglich
  • Reibung minimieren
  • Schmieren von bewegten Maschinenteilen
  • günstige Werkstoffpaarung
  • Schlittschuhschliff
 

[edit] [comment] [remove] |2005-11-24| e2 # Haftung

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Es ist die Frage zu klären, wie die Reibkraft zweier sich berührender Oberflächen bei gegebener Normalkraft ermittelt werden kann.
Die Lösung erfolgt empirisch mittels eines einfachen Versuchs:

Eine Masse, die auf einer horizontalen Unterlage liegt, soll durch eine horizontale Kraft in Bewegung versetzt werden. Die horizontale Kraft, bei der dies gerade geschieht, wird gemessen.

Die Ergebnisse diese Versuchs lauten:

  • Der Grenzwert der Haftung ist der Normalkraft N proportional, also H0~N.
  • Die Haftung H0 ist von Größe und Form der sich berührenden Oberflächen unabhängig.

Nach der Einführung einer Proportionalitätskonstanten formulieren wir das

Coulombsche36Coulomb, Charles, französischer Physiker (1736-1806) Haftungsgesetz

H0 = μ0 · N

mit H0 ents.GIF Grenzwert der Haftung
N ents.GIF Normalkraft
μ0 ents.GIF Haftungskoeffizient

Dabei hängt dieser Haftungskoeffizient μ0 nur von der Rauhigkeit der sich berührenden Oberflächen und nicht von deren Größe und Form ab.

In einem ähnlichen Versuch läßt sich die Reibungskraft untersuchen

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Versuch: Auf einem Förderband liegt eine Masse m, die gleichzeitig mittels einer Federwaage am Gestell befestigt ist.
Beim langsamen Loslaufen haftet der Block zunächst am Band und spannt die Feder. Unmittelbar vor dem Losreißen der Masse vom Band lassen wir die größte Kraft ab. Bewegt sich dann das Band unter dem Block hinweg (Relativbewegung), geht die Anzeige auf einen kleineren Wert -der Gleitreibungskraft- zurück.

Auch in diesem Versuch stellen wir fest, daß die Reibungskraft proportional zur Normalkraft ist.

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Die Proportionalitätskonstante nennen wir Reibungskoeffizient μ.

Reibungsart HaftreibungHaftreibungGleitreibungGleitreibung
Zustand trockengeschmierttrockengeschmiert
Stahl auf Stahl 0,150,11…0,120,03…0,090,009
Stahl auf Gußeiesen 0,180,130,160,01
Metall auf Holz 0,5…0,60,10,25…0,50,02…0,08
Holz auf Holz 0,5…0,65-0,2…0,40,04…0,16
Lederriemen auf Holz 0,47-0,27-
Lederriemen auf Gußeisen 0,60,12…0,250,12…0,150,12…0,15
Hanfseil auf Holz 0,5---
Stahl auf Eis 0,027---
Bremsbelag auf Stahl --0,5…0,60,3…0,5
gebremstes Auto auf Pflaster --0,5-
gebremstes Auto auf Asphalt --0,3-
 

[edit] [comment] [remove] |2005-11-24| e3 # Reibung in Gelenken

Die bisherige Betrachtung von Gelenken zwischen starren Körpern wurde grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt der Reibungsfreiheit durchgeführt. Nunmehr sind die Fälle zu unterscheiden:

  • Haftung im ruhenden Gelenk
  • Reibung im bewegten Gelenk

Damit sind jeweils unterschiedliche Problemstellungen verbunden.

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Haftung:

  • Das Gelenk wird dahingehend erweitert, daß es zusätzlich Kräfte/Momente in Bewegungsrichtung aufnehmen kann.
    Kurvengelenk ⇒ Drehgelenk
    Drehgelenk ⇒ Festgelenk
    Schubgelenk ⇒ Festgelenk
  • Mit den bekannten Methoden der Statik wird die/das aktuell wirkende Kraft/Moment im erweiterten Gelenk bestimmt.
  • Die/das Kraftkomponente/Moment in Bewegungsrichtung darf nicht größer als der Maximalwert gemäß dem Grenzfall der Haftung sein.

Reibung:

  • Mit den bekannten Methoden der Statik werden die Kräfte/Momente in den reibungsfreien Gelenken bestimmt.
  • Im bewegten Gelenk wirkt nun zusätzlich eine Reibkraft, deren Betrag sich nach dem Coulombschen Reibungsgesetz aus der Normalkraft ergibt und deren Richtung entgegengesetzt zur Bewegungsrichtung wirkt.
  • Unter dieser zusätzlichen äußeren Belastung werden die Kräfte/Momente in den reibungsfreien Gelenken bestimmt.37Hierdurch können sich u.U. die reibungsverursachenden Normalkräfte in den Gelenken ändern, so daß ein mehrmaliger Durchlauf (Iteration) dieser Berechnungsschritte notwendig wird.

Nachfolgend wollen wir einige Bindungen auf ihre Reibungseinflüsse hin untersuchen.

 

[edit] [comment] [remove] |2005-11-24| e4 # Kurvengelenk

Wir untersuchen zunächst die Reibungsverhältnisse im Kurvengelenk. Dabei wirkt in Richtung der Kurventangente zusätzlich eine Reibungskraft FR.

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Unter Verwendung des Einheitsvektors der Kurvennormalen en erhalten wir für die Kräfte

Fn = Fn · en
(3)FR = ± FR · e^n

Im Falle der Haftung wird eine Bewegung entlang der Kurve verhindert. Wir finden damit Verhältnisse wie im Drehgelenk vor.

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Den Grenzfall der maximalen Haftkraft ermitteln wir über das Coulombsche Reibungsgesetz

FR = μ0 · Fn

und mit

Fn = (Fn · )· en = F·cosφ · en


F = ±(Fn·e^n) = ±Fsinφ·e^n


erhalten wir

±F sinφ0 = μ0·F·cosμ0

bzw. den sogenannten Haftungskegel38Genau genommen darf nur im räumlichen Fall von einem Haftungskegel gesprochen werden.

tan = ±μ0

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Kurvengelenk:

  • Haftung besteht, solange die im äquivalenten Drehgelenk ermittelte Reaktionskraft dem Grenzwinkel φ0 zur Kurvennormalen en nicht überschreitet
  • Im Falle der Reibung wirkt eine Reibkraft von FR = ±μ·Fn·e^n entgegengesetzt zur Bewegungsrichtung
 

[edit] [comment] [remove] |2005-11-24| e5 # Drehgelenk

Die Reibung im Drehgelenk resultiert in einem der Drehrichtung entgegenwirkenden Reibungsmoment. Analog dazu kann das Drehgelenk im statischen Fall ein Haftungsmoment aufnehmen. Eine nähere Betrachtung der Reibverhältnisse erfordert eine Berücksichtigung der geometrischen Abmessungen von Welle bzw. Achse und Lagerring.

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Aufgrund der Gelenkkraft F ergibt sich ein unbekannter Normalkraftverlauf entlang des Umfangs der Welle. Durch die - hier angenommene - Coulombsche Reibung baut sich eine äquivalente Verteilung von Umfangskräften auf. Diese verteilten Normal- und Umfangskräfte lassen sich jeweils durch ihre Resultierenden Fn und FR ersetzen. Mit diesen Kräften und dem vom Gelenk aufgenommenen Moment wollen wir die Gleichgewichtsbedingung aufstellen

∑ Fn ≡ F · cosφ − Fn = 0
∑ Ft ≡ F · sinφ − Fn = 0
∑ M0 ≡ − M R + FR · r = 0

Für den Grenzfall des Losbrechmoments gilt

FR = μ0 · Fn

Damit liegen 4 Gleichungen für die Unbekannten FR, Fn, M und φ vor. Wir erhalten die Lösungen

MR = F·r μ0√(1+μ20)
Fn = F· 1√(1+μ20)
FR = F· μ0√(1+μ20)
φ = arctan μ0

Wichtig ist hierbei besonders die Gleichung für das

Reibungsmoment des Drehgelenks:

MR = F_ · rR

mit

rR = r·μ0√(1+μ20)

und

rR = r·μ√(1+μ2)
 

[edit] [comment] [remove] |2005-11-24| e6 # Seilreibung

Bisher haben wir Seilrollen als momentenfrei betrachtet. Die Zugkräfte im Seil werden dabei lediglich umgelenkt. Nun wollen wir Haftung zwischen Seil und Rolle und damit Kraftübertragung in Umfangsrichtung annehmen. Damit ist eine Differenz der Kräfte im auf- und ablaufenden Seil verbunden.

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Zur Untersuchung der Kräfteverhältnisse schneiden wir aus dem aufliegenden Seil ein Stück der Länge

dl = r · dφ

heraus. In diesem Teilstück erhöht sich die Seilkraft um den Betrag dS. Gleichzeitig wirkt dem die Seilhaftung dFR entgegen. Die Gleichgewichtsbedingungen lauten damit

∑ Fx ≡ S cos dphi2 − (S + dS) cos2 + dFR = 0
∑ Fy ≡ −S · − (S + dS) sin 2 + dFN = 0

Wegen infinitesimal kleinem setzen wir

cos2 ≈ 1; sin 22

und vernachlässigen das gemischte Produkt dS·2 . Die vorstehenden Gleichungen reduzieren sich damit auf

−dS + dFR = 0
−Sdφ + dFN = 0

Für den Fall der Grenzhaftung gilt

dFR = μ0 · dFN

und wir erhalten die Differentialgleichung

1S·dS = μ0 · dφ

Beidseitige Integration über den Kontaktbereich von Seil und Rolle ergibt dann

S2S1·1S·dS = μ0 α0 ·dφ
ln S2S1 = μ0·α

In Exponentialschreibweise erhalten wir die

Formel für die Seilreibung nach Euler bzw. Eytelwein

S2 = S1 · eμo·α für Haftung
S2 = S1 · eμ·α für Gleitreibung
 

[edit] [comment] [remove] |2006-03-28| e7 # Schubgelenk

Der einzige Freiheitsgrad des Schubgelenks -die Bewegung entlang der Schubachse- sei nun nicht mehr reibungsfrei.

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Wir betrachten einen Klotz auf einer ebenen Unterlage, der durch eine Kraft F belastet ist.

Durch die äußere Kraft F entsteht ein zunächst unbekannter Druckverlauf in der Kontaktfläche. Wir nehmen vorerst an, daß der Klotz durch zwei Reaktionskräfte FAn und FBn in den Randpunkten A und B gestützt wird.

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Für dieses Modell stellen wir die Gleichgewichtsbedingungen auf

∑ Fx ≡ − F · sinφ + FR = 0
∑ Fy ≡ − F · cosφ + FAn + FBn = 0
∑ Mc ≡ − FAn · b2 + FBn · b2 + FR · h = 0

Die Auflösung dieses Gleichungssystems nach den drei Unbekannten FR, FAn und FBn führt zu

FR = F · sinφ
FAn = F · ( 12cosφ + nbsin )
FBn = F · ( 12cosφ − nbsinφ )

Die Bedingung für die Stabilität des Klotzes gegen Kippen um A oder B ist, daß FAn und FBn wie gezeichnet wirken müssen und nicht ihre Richtung ändern dürfen. Als Grenzfälle für FAn oder FBn=0 erhalten wir

tanφ = ±b2n

und das sind offensichtlich die Fälle, in denen die Wirkungslinie von F durch die Punkte A oder B verläuft.
Durch die Ausbildung des Schubgelenks als zweiseitig wirkendes Gelenk sind allerdings auch solche Belastungsarten möglich.

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Die Resultierende der Normalkräfte Fn = FAn + FBn ist

Fn = F · cosφ

und deren Lage ergibt sich gemäß Abschnitt Parallele Einzelkräfte aus der Bedingung

tanφ = b2ah

und das entspricht dem Punkt, in dem die Wirkungslinie von F die Kontaktfläche des Klotzes schneidet.

Seite81_2.PNG

Demnach liegt also ein zentrales Kräftesystem für das Schubgelenk vor.
Für die Grenzbedingung der Haftung ist

FR = μo · Fn = tanρ0 · Fn

anzusetzen und es gilt für

Haftung im Schubgelenk:

FR/Fn ≤ μ0

Reibung im Schubgelenk:

FR = μ · Fn